AUSSTELLUNG


Anne Rose Bekker, Malerei   /   Werner Götz, Skulptur   /   Galerie Himmelreich, Magdeburg   /   18.2. - 8.3.2003


Blick in die Ausstellung - Raum 1      (Zur Detailansicht auf die Bilder klicken!)


ZEICHEN - Ein Zuwort von Ludwig Schumann

Als Anne Rose Bekker mir sagte, sie stelle Köpfe vor, dachte ich: Aha. Es ist wieder Zeit für Umbruch. Denn Köpfe sind bei Anne Rose Bekker immer dran, wenn draußen oder drinnen Umbrüche vonstatten gehen. Der letzte war 1989/90/91. Damals entstanden eine Reihe Köpfe, die widerborstig waren. Die verloren wirkten. Verwundbar. Die Wendeköpfe wirkten überhaupt nicht heroisch. Als alles von den Helden von Leipzig redete, entdeckte Anne Rose die andere Seite der Wende, entdeckte sie wie Innen zu Außen wurde, ahnte sie die Verwundbarkeiten, die Schmerzen, die Verluste. Sie, die mit ihrer Kunst gegen das rebelliert hat, was vorher statisch war, zeigte ihre Ein-Wende. Und ich weiß noch, wie sie die Köpfe 1994 in der Staatskanzlei ausstellte. Damals waren die Grünen gerade in die Regierung gewählt. Die, die aus dem Forum hervorgegangen waren, die also, die entscheidend beigetragen hatten, daß die Wende überhaupt möglich war. Und die standen ratlos vor den Köpfen und sagten: "Was hat sich die Künstlerin dabei gedacht, die Wende so pessimistisch darzustellen? Was ist das für eine? Unsere Menschen waren zur Wende optimistisch. Das war Aufbruch. So hoffnungslos waren unsere Menschen nicht." Was mich in der Folge nicht wenig umtrieb: Der Jargon der Wende-Rebellen entsprach zu just dem Zeitpunkt, als man die Zügel selbst in die Hand nahm, dem Jargon der Herrschenden davor: Unsere Menschen sind nicht so. Nicht nur für sich, man wußte es für die anderen gleich wieder mit. Anne Rose Bekker hatte einen Finger, besser gesagt, hatte ihre Köpfe in die offenen Wunden gelegt.

Zehn Jahre später hält sich die Gesellschaft in der Wellness-Kirche auf. Mit Body-Styling und Power-Jogging kommt man unter Anwendung von Anti-Aging-Cremes auf der Beauty-Farm in Top-Form. Mit Relaxing und Mini-Workouts zur Super-Figur. Das ganze mit Models in frommer Hindu-Gebetshaltung verpackt, Abstecher zur Ayurveda-Farm inklusive. Cool Packs verstärken die Coolness, nämlich dann, wenn das Denken weh tut - laut der Women-Zeitschrift Brigitte. Ein bisschen Walking kann nicht schaden, zur Not tut’s auch Step-Aerobic.
Die Dome sind Tümpel mit Schlammpackungen zu jedem Zweck geworden, die Gesprächsrunden wurden als Debattierklubs denunziert, die Salons lösten sich in Centercourts auf. Die Kirche Unserer Lieben Wellness kann mit Kunst wenig, mit Kult mehr anfangen. Und wenn schon Kunst, dann wie Regenschirme aufgespannte Leichen.

Blick in die Ausstellung - Raum 2      (Zur Detailansicht auf die Bilder klicken!)

Meist hat man heute zum Entspannen die Augen zu, Gurken auf den Lidern, Packs auf dem Face, rührt sich nicht, außer daß man im Schlamm untertaucht. Bewegung nur in Gruppen und kontrolliert. Was denkt man eigentlich mit Gurkenscheiben auf den Lidern? Mit Anti-Aging-Creme im Gesicht? Haben Sie sich diese merkwürdigen glatten Alte-Leute-Gesichter wirklich einmal angesehen? Unser Kanzler streitet sich allen Ernstes vor Gericht um die Tönung seiner Haare. Aber stimmt. Er ist der Kanzler einer Generation - schauen sie Fernsehwerbung! - die fröhlich und verspielt in die Inkontinenz geht. Hat man das, was sich da vor einem aufbaut, früher nicht als Horrorkulisse in einem Science-Fiction-Film gehabt? Erkennen Sie im Fernsehen noch Gesichter? Das Lächeln ist zur Maske geschminkt. Es geht uns gut im Jammertal.

Anne Rose Bekker hätte es sich vor kurzem noch nicht träumen lassen, daß sie den Pinsel mit der Spritzpistole vertauscht, daß sie Gesichter fotorealistisch sprüht, um ihnen dann das Gesicht hinter der Maske zu nehmen. Die Öffnungen bleiben. Die Münder sind da. Die Augen sind da. Das Ding kommuniziert. Nein, nicht wirklich. Es gibt Statements ab. Es ist kein Partner mehr. Kein Gesprächspartner. Man weiß nicht: Ist das Ding jung oder alt? Verfügt es über Vitalität oder hat es vergessen, sich selber nachzusterben? Kann man einer Maske trauen? Steckt der hinter der Maske am Ende fest und ist unseres Mitleidens würdig? Sollte man sich gar bemühen? Dafür scheinen aber Mund und Mundwinkel zu bestimmt. Also eher kein Mitleid. Die Maskenwelt hält man nur aus, wenn man sich selbst zurückziehen kann. Der Mensch in der Maske, muß er nicht zwangsläufig zur Ich-AG verkommen?

Zehn Jahre nach den letzten Köpfen stellt Anne Rose Bekker wieder Köpfe aus. Dem schroffen Inneren, oder, wie ihr Lebensgefährte Jan Bauer sagt, ihren Ostköpfen, läßt sie nun die Westköpfe folgen. Das Innere ist verborgen hinter dem immerwährenden Lächeln. Eine der schönsten Äußerungen menschlichens Lebens, das Lachen, das Anlächeln als eine fröhliche und dabei tiefe Form der Kommunikation ist verkommen zur nichtssagenden Grimasse.
Das Lächeln in seiner kommunistischen Perversion sollte die vorhandenen materiellen, gesellschaftlichen und philosophischen Probleme übertünchen. Dieses Lächeln hier kennt keine Inhalte mehr. Die Maske versteckt kein Subjekt mehr vor der übermächtigen Gesellschaft. Die Maske ist selbst Subjekt geworden. Schlimmer: Sie ist es nicht geworden, sie spielt es nur. Sie spielt auch das Lächeln nur. Es ist gar keins. Um dieses darzustellen, mußte sie jetzt den Malstil wechseln. Ist in diesen Bildern aber der Realismus noch beschränkt und konzeptionell eingebunden, erscheint er doch im anderen Raum vollends unbedarft.

Performance zur Vernissage von Fine Kwiatkowski (Tanz) und Willehad Grafenhorst (E-Bass)

Realismus pur. "Ich bitte Sie, Frau Bekker, das hat man doch nun in Magdeburg gott sei dank seit Jahrzehnten nicht wieder gesehen!"
Die Schelte sind vorprogrammiert. Heroische Frauenposen. Das ist ja nun schon fast vorsozialistisch, um das mal vorsichtig zu umschreiben - ist das so? Muß man sich so angreifbar machen? Wenn man das erzählen will, was die Malerin macht: ja. Denn Anne Rose Bekker malt eine Performance. Sie wissen: Wir stellen uns ja nicht mehr vor. Wir performen. Die Malerin hat sehr genau hingeschaut. Sie performt zurück. Bekker wäre nicht Bekker, wäre ihre Performance so oberflächlich. Was sie - der maskierten Gesellschaft gegenüber - anbietet, ist eine Feldforschung: Sie macht sich in Stil und Inhalt verwundbar. Sie tut genau das, was man nicht mehr tut. Sie zeigt, daß auch sie nicht unbeeindruckt blieb von der Kirche zu Unserer Lieben Wellness. Sie posed. Ein wenig versteckt, ein wenig verklemmt, aber sie tut es. Sie erwischt sich dabei und überführt sich gleich selbst. Sie schönt hier und da. Aber sie schaut auch. Die Neugier überwältigt sie. Läßt sie allen Schutz vergessen. Sie stellt sich ins Benehmen mit den Masken. Bekkers vager Versuch, sich zu behaupten. Die Masken werfen sie auf sich selbst zurück. Dem Ansturm der Gesichtslosigkeit gegenüber kann man sich nur behaupten, indem man sich preisgibt. Sich zu sich bekennt. Und damit zeigt, daß man noch ein denkender Mensch ist. Etwas, was seit ca. drei Jahrzehnten aus der Mode kommt. Weil der über sich nachdenkende Mensch sich auch in der Verantwortung weiß. Für sich und somit für die Gesellschaft. Es ist kein Narzismus, der sich uns gegenüber weiß. Es ist die äußerste Verwundbarkeit, die sie den Masken gegenüberstellt. Wie das ausgehen mag, ist Sache des Betrachters, der sich plötzlich zwischen den Fronten findet.

Vortrag zur Vernissage von Ludwig Schumann

Zeichen wollten sie geben, Bekker und Götz. So jedenfalls sind sie angetreten. Und dann, sagte Anne Rose Bekker, hat sich das alles irgendwie verselbständigt. Bekker hat ihre Performance gefunden. Götz hat das Holz gefunden, damit Zeichen zu machen. "Ohne Holz ...", so sagt Fritz Rumler in seinem Artikel vom "Lob des Holzes" zu Arbeiten von Götz, "... wäre das Leben ziemlich dürr." Und "Ohne Holz wäre der Mensch nie auf einen grünen Zweig gekommen". Und Rumler geht dann der Sprache nach, erzählt, wie die Dinge "verzweigt, verwurzelt, verästelt" sein können, "einer lebt zwischen Baum und Borke, steht gut im Saft, ist auf dem absteigenden Ast, hat einen Balken im Auge, ein Brett vor dem Kopf".
Götz stellt den Masken Holz entgegen. Hohlen Stamm. Nach Rumler ist im hohlen Stamm der Honig der Bienen versteckt. Aber das weiß nur die Bärin. Ob hohle Vögel da auch sein können, weiß man nicht. Aber zum Durchschauen bietet es sich an. Zum Durchbrechen. Durchblicke ermöglichen. Alle diese Dinge setzen einen ungebrochenen Willen zum Wissen wollen voraus. Sogesehen sind Götz’ Arbeiten Anti-Pisa-Studien. Sie wollen den Unneugierigen des 21. Jahrhunderts zum Sehen verführen, um ihn möglicherweise zum Wissenden zu machen. Zu jemanden, der das Geheimnis um das Geheimnis auf der anderen Seite kennt.
Götz juckt es also noch, anzustiften. Das unterscheidet ihn von Bekkers Trauer um die Subjekte der Masken, die keine mehr haben - aber bindet ihn ein in die Neugier, die bei Bekker eine nackte ist. Neugier hat diese Funktion: Sie macht nackt - sie legt bloß - und sie ist nackt, weil sie meist unverschämt ist. Götz macht unverschämt, will aber die Neugier erst über die Durchbrüche sichtbar machen.

Zwei Wege - ein Zeichen.





Ludwig Schumann ist Vorsitzender des Vierung Kunstvereins e.V., Magdeburg



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